Das Liftarchiv hat auf eine wunderbare und erstaunliche Weise Kunst in das modernistische Kreisverwaltungsreferat in München implantiert.
Wie ist dies dieser kleinen, durchsichtigen, mobilen Einheit gelungen, in einer bestimmten Umgebung nicht politische Kunst zu machen, sondern die Kunst politisch werden zu lassen? Susanne Clausen und Pawlo Kerestey haben zwei komplexe Institutionen aufeinander bezogen und damit eine atemberaubende Reibung geschaffen.
Wenn wie versuchen, die Situation mit Louis Althusser zu analysieren, kann man sagen, dass das Kreisverwaltungsreferat der Münchner Innenbehörde zweifellos zu den Staatsapparaten gehört und zwar, genau genommen, zu den repressiven Staatsapparaten. Unter repressiven Staatsapparaten versteht er diejenigen Institutionen, die als ein Teil des staatlichen Komplexes dessen Machtansprüche und Gesetze mit Gewalt durchsetzen können.
Diese Institutionen haben, wie Althusser bemerkt1, auch eine ideologische Seite. So lässt der formal geregelte Ablauf in einer Ausländerbehörde das Ein- und Ausschlusssystem als natürlich erscheinen: Nummern ziehen und warten, Formulare ausfüllen, Papiere beibringen, Besucher diesseits und Verwaltungsbeamte jenseits der Theke, das Ein- und Ausschlusssystem funktioniert in einer gerecht un objektiv erscheinenden Verpackung. Dies wäre als die ideologische Seite der Behörde zu verstehen, sie naturalisiert, sie selektiert, sie macht ihre eigenen Bedingungen vergessen, sowie den Klassencharakter ihrer Entscheidungen.
Bildende Kunst als Institution betrachtet gehört nach Althusser zu den ideologischen Staatsapparaten. Dies bezeichnet diejenige Funktion in einem Staat, die den Apparat über kulturelle Mittel absichert und die Subjekte zur Zustimmung erzieht. Althusser bezeichnet die Schule als das wirksamste Instrument der pädagogischen Einflussnahme auf Subjekte. Dabei muss man bedenken, dass er diesen Text 1971 geschrieben hat, das Ausmaß der totalitären Beeinflussung durch Massenmedien wie Fernsehen und Werbung konnte man sich noch nicht annähernd in seiner ganzen Massivität vorstellen.
Im Unterschied zum relativ einheitlichen repressiven Staatsapparat existieren viele unterschiedliche ISAs. Diese sind auch oft private Institutionen2. Die ISAs, oder mit Gramcsi gesprochen, die Zivilgesellschaft, sind daher nicht nur Kampfobjekte sondern auch Ort der Austragung eines ideologischen Kampfes um die Vorherrschaft bestimmter Gruppen3. “Nicht nur weil dort die früheren herrschenden Klassen lange noch starke Positionen behalten können, sondern auch weil der Widerstand der ausgebeuteten Klassen dort die Mittel und die Gelegenheit finden kann, um sich Gehör zu verschaffen, entweder indem sie die dort existierende Widersprüche zu nutzen oder indem sie sich Kampfpositionen erobern”, wie Althusser mit dem marxistischen KlassenBegriff erläutert. „Klassenkampf“4, heute würde man sagen, das Verhandeln antagonistischer Verhältnisse, wird zwar auch mit ideologischen Mitteln geführt, geht aber darüber hinaus, da es sich um eine Umverteilung an der Basis (in letzter Instanz) handelt, also um Umverteilungen von Ressourcen, von Produktionsmitteln und Produktionsverhältnissen, sowie Machtverhältnissen.
Das Liftarchiv implantiert insbesondere mit dem Film „Nirwana“ eine massive Zerrüttung der dort sonst gepflegten Ideologie der „gerechten“, „geordneten“ Aussonderung oder Zulassung in die bundesrepublikanische Gesellschaft. Nirwana, eine Videoperformance von Szuper Gallery, benützte das nächtliche Ausländeramt als Filmsetting. Die „Pädagogik“ des Ortes wurde durch die Verfremdung desselben sichtbar: da es ungewöhnlich ist, in absurden Posen nächtens durch leere Gänge des Ausländeramtes zu robben, war plötzlich offensichtlich, dass die „normale“ Bewegung von Besuchersubjekten auch eine höchst zugerichtete Form der Bewegung darstellt. Das „normale“ Verhalten im Ausländeramt schließt gesittetes geduldiges Warten und unauffälliges, nicht mit sexuellem Begehren konnotierte Bewegung ein. Der „normale“ Ablauf heißt, dass die Unterhaltungen zwischen Angestellten und Besuchersubjekten hinter geschlossenen Türen stattfinden, also nicht zu sehen und sicher nicht transparent sind. Das „normale“ Verhalten schließt eine Reihe von festgelegten hierarchischen Anordnungen mit ein, jemand diesseits und jenseits einer Thekenbarriere, jemand ist der Amtssprache mächtig und ein anderer weniger. Das „normale“ Verhalten besteht aus einer Art Performanz von Objektivität und Wertfreiheit sowie von NichtEmotionalität. Entsprechend dazu haben die Angestellten reagiert, sie lehnten den Film ab und protestierten gegen ihn. Kunst, die im Rahmen eines Kunst-amBau Projektes in ein Gebäude eingeladen wird, hat in der Regel eine repräsentative Funktion. Implizit gehört dazu, die Welt der schönen Dinge vom Alltagsleben zu sondern und deren Autonomie – und damit auch ihre Wirkungslosigkeit – zu bestätigen. Auch hier verweigert das Liftarchiv die Bestätigung der ideologischen Anordnung. Es referiert dagegen auf bestimmte Anordnungen, es macht sie als solche sichtbar. Angespielt werden: 1. der Akt der Nobilitierung von Artefakten (Gegenständen gleich welcher Art) durch den Akt des Ausstellens und 2. die Überblicks-, Transparenz- und Überwachungsphantasien, die in den Glaspalästen der Moderne materialisiert sind.
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Nobilitierung von Gegenständen durch den Akt des Ausstellens: Das Liftarchiv selbst kann wie ein Diskursraum auf ebener Erde funktionieren, gleichzeitig auch als Skulptur, die in bezeichnender Weise hoch erhoben ist und über den Köpfen der Besucher und Mitarbeiter schwebt. Diese Geste inszeniert das Liftarchiv witzig und leicht mit einem Lift, der ins Nirgendwo führt, jedenfalls nur unter die Decke des Gebäudes. Das Liftarchiv macht sich die Situation zunutze und hängt eulenspiegelhaft unter der Decke und beansprucht aus dieser sicheren Entfernung eine freche Definitionsmacht, deren Anzweifelbarkeit 88 und Erreichbarkeit mit eingebaut ist.
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Die Überblicks-,Transparenz- und Überwachungsstrategien der Moderne. Die Moderne hat die unterschiedlichsten Räume als White Cubes hervorgebracht[^5}, nicht nur Ausstellungsinstitutionen, sondern auch Fertigungsstätten,Verwaltungsgebäude und Wohnräume. Der White Cube erscheint im Vergleich zu den zeitgenössischenGlaspalästen der Fertigung und der Verwaltung fast als geschützter, innerlicher Raum. In den zeitgenössischen Glaspalästen spielt das Motiv des Sehens und Gesehenwerdens, das Subjekte und Objekte aufeiner hierarchischen Linie verortet, eine entscheidende Rolle. Es überwacht nicht nur, sondern erzieht Subjekte, sich als gesehene zu verstehen, und daher zu selbstverantwortlich handelnden, disziplinierten Staatsbürgern, die die Instanz der permanenten Selbstkontrolle verinnerlicht haben. Etwas davon wird sichtbar, wenn der Ausstellungsort selbst im kleinen Glaskasten sitzt und somit einsehbar und beobachtend von oben kommentiert.
Das Liftarchiv repräsentiert sozusagen die Schnittstelle der Diskurse – repressiver Staatsapparat und Zivilgesellschaft,Verwaltung und Kommentar, Repräsentationsfunktion,Autonomie und Pädagogik – und ist gleichzeitig, eingestandenermaßen, Teil dessen.
Die pädagogische Funktion, die als Matrix Kunstinstitutionen zugrunde liegt, wurde von den Mitarbeitern des Ausländeramtes durchaus wahrgenommen und entsprechend misstrauisch bis ablehnend aufgenommen. Sollten sie lächerlich gemacht werden, oder bloßgestellt? Sollten sie von einer höheren Warte aus beurteilt werden? War das überhaupt Kunst, das sich da einen Kommentar erlaubte? Was hatte dies mit dem Schönen zu tun, das man mit Fug und Recht von der Kunst erwarten kann? Folgen wir Althusser, so wird diese Verunsicherung auf einer tiefen Ebene initiiert, da Ideologie Individuen anruft und als bestimmte Subjekte hervorbringt. Dieser Prozess einer permanenten „Anrufung“ als Mitarbeiter einer „gerechten“ und „geordneten“, entsexualisierten Behörde, wurde mehrfach durch das Liftarchiv gestört. Es stellte sehr konkret die Kriterien zur Aussonderung von Menschen in Frage, beispielsweise durch die Einladung von schleuser.net, und die gewohnheitsmäßige Anordnung der Abläufe. Zudem verunsicherte es in der Frage, was denn „Kunst“ ist im Gegensatz zum Arbeitsalltag. „Kunst“ war mit dem Liftarchiv ein Setting für Gesprächsituationen oder Talkshows, für einen Film, „Kunst“ war eine Umfrage unter den Beschäftigten, „Kunst“ war eine Filmreihe, oder ein großer Bildschirm. Das Liftarchiv bot eine Reihe unterschiedlicher Möglichkeiten an – und verwies mit seiner Glaskasten-Materialität darauf, dass es selbst eine Art Leerformel darstellt. Szuper Gallery hat es in „Zusammenarbeiten“ mit Institutionen wie der Polizei, Christie´s Bloomberg Television, der Londoner Metallbörse, sowie der Münchner Börse erreicht, die jeweils vorkodierten Kontexte durch subtile Irritationen in Frage zu stellen und deren ideologische Konzepte sichtbar zu machen. Bei der öffentlichen Situation des Liftarchivs gingen sie einen Schritt weiter, da das Liftarchiv zugänglich und erreichbar war,Veranstaltungen dort stattfanden und sich Mitarbeiter über eine Umfrage im Netz äußern konnten. Einige der antagonistischen Verhältnisse unserer Gesellschaft wurden benannt und diskutiert. Dass dies nicht ohne Auseinandersetzung mit den Mitarbeitern der Behörde verlief, kann man nur als Erfolg des Projektes werten. Nur dort, wo Kunst verstört, hat sie auch eine Chance, Denkprozesse in Gang zu setzen. Und nur dort, wo Öffentlichkeit als Diskurs stattfindet, kann Kunst jenseits ihrer autonomen Sphäre auf gesellschaftliche Prozesse einwirken.
Dieser Text stammt aus dem Buch Liftarchiv, ©Copyright 2007 Szuper Gallery, herausgegeben von Revolver ISBN 978-3-86588-403-9
Staatsapparate, 1970 hier zitiert nach www.bbooks.de/texte/althusser – Das Recht gehört laut Althusser sowohl zu den repressiven als auch zu den ideologischen Staatsapparaten. Insofern hat eine Ausländerbehörde etwas von beiden Erscheinungsformen.
und privat, auf das Recht zurückgeht. Der Staat, der der Staat der herrschenden Klasse ist, ist weder öffentlich noch privat, er ist vielmehr die Bedingung jeder Unterscheidung zwischen öffentlich und privat. Daher kümmert sich Althusser nur um die Funktionsweise. Private Institutionen funktionieren als ideologische Staatsapparate.
der Konzepte von Zivilgesellschaft und ideologi90 schen Staatsapparaten.
1974; sowie Walter GRASSKAMP: Die weisse Ausstellungswand, in Wolfgang ULLRICH, Juliane VOGEL,Weiss, Fischer 2003, S.29 -63.