Auftraggeber und Gastgeber des Liftarchivs sind städtische Behörden, und diese sind zu politischer Neutralität verpflichtet. Von einem Kunstprojekt in diesem halböffentlichen Raum wird in gewisser Weise erwartet, dass es die Behörde vertritt und somit auch deren Neutralitätsanspruch respektiert. Sollen oder müssen wir daher in einem so brisanten Kontext versuchen, uns „neutral” zu verhalten und eine Parteinahme im künstlerischen Prozess zu vermeiden. Und wie können wir dabei verhindern, dass das Projekt dabei zu einem „formal-neutralen“ Dekor mutiert.Was ist eigentlich neutral, wann bedeutet neutral neutral oder eigentlich genau das Gegenteil? Diese Frage wurde durch die Arbeit und den Arbeitsprozess selbst beantwortet, denn im Projektverlauf zeigte es sich, dass die künstlerischen Gesten, die uns zunächst vielleicht unscheinbar oder sogar neutral erschienen, vom Publikum in diesem halböffentlichen Raum unausweichlich entweder als wertend, parteisch oder politisch motiviert interpretiert wurden.
Eine Möglichkeit, mit diesem Dilemma und der Rolle der vom Staat oder einer Institution beauftragten KünstlerIn umzugehen, liegt vielleicht in einer Strategie, die Michel de Certeau „La Perruque“ nennt. Die „Perücke“ ist ein Ausdruck für eine Praxis und ein Verhalten, das man vermutlich an jedem Arbeitsplatz vorfindet. Es ist die eigene Arbeit der Arbeitnehmer, die sich als Arbeit für den Arbeitgeber tarnt. Das LA #C Warum begeben Sie sich nicht auf den Boden der Tatsachen? Warum ordnen Sie ihre Angelegenheiten nicht zufriedenstellend? bedeutet nicht, dass die Arbeitnehmer etwas stehlen oder einfach nicht zur Arbeit erscheinen, sondern dass sie während der Arbeitszeit etwas für sich selbst produzieren. Normalerweise werden solche Aktivitäten sanktioniert oder einfach ignoriert. Aber die Arbeitnehmer, die sich der La-Perruque-Strategie bedienen, stehlen Zeit vom Arbeitgeber, die laut de Certeau frei, kreativ und nicht direkt auf Profit ausgerichtet ist. Es geht darum, Zeit auf eigene Art und Weise zu verbringen, ohne dass der Arbeitgeber es bemerkt. Es ist eine Strategie, bei der die allgemeine Ordnung umgangen wird und durch die ein neues Moment, eine neue Realität oder ein Erzählstrang in die Institution eingeführt wird, in deren Diensten man steht. Eine „Perücken-Mimikry“ als virale Strategie im Umgang mit dem öffentlichen Auftraggeber?
Wir haben versucht, im KVR einen quasi autonomen Projekt-Raum einzuführen, dessen Glashülle einsichtig ist, der sich aber dennoch von seinem Umfeld abgrenzt. Formal passt sich das Liftarchiv, auf den ersten Blick, der baulichen Umgestaltungsbemühung der Behörde an. Es imitiert die programmatische Transparenz der Behörde, der durch das Aufbrechen der Fassade Rechnung getragen wurde. Das Auf und Ab der Liftbewegung symbolisiert nachträglich auch den bewegten Projektverlauf. Das Liftarchiv wurde zu einer Art Versuchsleitung für das autonome Arbeiten das Kunstwerk ein. Einige Mitarbeiter berichteten von Besuchern, die die Installation zum Anlass nahmen, um die Behörde zu kritisieren. Sie wurden zum Beispiel auf das rote Sofa im Liftarchiv angesprochen und daraufhin gefragt, „ob dies nun das Sofa sei, auf dem sich die Beamten ausruhten“.Auch so wurde ein für uns als neutral einzuordnendes Objekt zu einem wertenden.
In unserer Videoperformance „Nirwana“ wird die nächtliche Behörde zur Bühne für die surreale Begegnung dreier Menschen, die sich nach einer absurden, seltsamen Choreographie durch die Flure des KVR bewegen. Dabei wird die funktionale Atmosphäre des Amtes zum freizügigen, anarchischen Spielfeld. Nach einem Monat Laufzeit des Videos protestierten einige Mitarbeiter. Die Diskussion mit Personalrat und Frauenbeauftragten zeigte, dass die absurden Handlungen der Akteure im Video nicht als befreiende Spielformen, sondern direkt als wertende Kommentare auf das Verhältnis der Mitarbeiter zu den Besuchern gelesen werden. Die Darstellung der Frauen in dem Video wurde von einigen Mitarbeiterinnen als sexistisch empfunden. Und so trafen wir im Verlauf des Projekts immer wieder mit verschiedenen Mitarbeitern zu kleinen Krisenkonferenzen zusammen. Beide Seiten, sowohl die Behörde als auch wir, vertraten hartnäckig ihre Positionen.Trotzdem ließ sich am Ende immer wieder ein Kompromiss finden. Einmal ließen wir uns darauf ein, ein Video abzuschalten. Ein anderes mal war die Behörde bereit, die gemeinsame Autorenschaft an der von ihr verhüllten Installation anzuerkennen, und nahm an der gemeinsamen Präsentation der mutierten Arbeit teil.
Warum soll sich eine Behörde überhaupt mit Kunst auseinandersetzen? Immer wieder ergaben sich Gespräche mit den Mitarbeitern. Einige setzten sich intensiv mit der Arbeit auseinander, andere äußerten, dass sie weder Zeit noch Interesse hätten und dass man so etwas doch besser im Museum machen sollte, denn hier würde es eher als störend empfunden. Eine Zeitlang nahmen dann zum Beispiel einige Mitarbeiter des Wachpersonals starken Anteil an dem Projekt. Sie hielten sich oft in der Halle auf und diskutierten mit uns, kommentierten, stellten Fragen. Es stellte sich heraus, dass sie das Liftarchiv „Nirwana“ getauft hatten. War es möglich, innerhalb einer institutionellen Struktur eine eigenständige Struktur einzufügen, die sich in gewisser Weise widersprüchlich zur Institution verhielt? Diese Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten. Die Kompromisse, die wir eingegangen waren, und das Scheitern an sich waren Thema und Inhalt des Projekts. Die Behörde ist eine kritische KunstBetrachterin, die Arbeit wurde hier ernst genommen und hat uns bewegt.Wir selber navigierten irgendwo zwischen Chaos und dem Boden der Tatsachen und konnten deshalb unsere Angelegenheiten vielleicht nicht zufriedenstellend ordnen.
Dieser Text stammt aus dem Buch Liftarchiv, ©Copyright 2007 Szuper Gallery, herausgegeben von Revolver ISBN 978-3-86588-403-9