Öffentliche Kunst hat es heute nicht leicht. Die Zeiten sind längst vorbei, in denen Reiterstandbilder oder Denkmäler eindeutige und für jeden ablesbare Botschaften vermittelten. Zeitgenössische Kunst stößt beim heterogenen Betrachterkreis im öffentlichen Raum nicht auf die selbe Aufmerksamkeit und das selbe Interesse wie beim Museumspublikum (es sei denn, es handelt sich um eine besonders spektakuläre Intervention oder eine Provokation). Im schlechtesten Falle wird sie gar nicht oder nur oberflächlich wahrgenommen.
Etwas anders verhält es sich mit der „Kunst am Bau“ – wie im deutschsprachigen Raum nach wie vor jene Kunst genannt wird, die in Zusammenhang mit einem Gebäude realisiert wird, egal, ob sie am Gebäude, im Gebäude oder um das Gebäude herum ihre Wirkung entfaltet. Diese Kunst tritt in Dialog mit einer ganz bestimmten Gebäudenutzung und einer Zielgruppe, die sich in der Regel mit der Gestaltung ihres Umfeldes stark identifiziert und sich nicht gerne irgendeine Kunst „überstülpen“ lässt.
Im Rahmen des „Kunst am Bau“ Programms der Stadt München – QUIVID1 genannt – betreuen wir seit den 90er Jahren Projekte, die mit dem herkömmlichen „Kunst am Bau“ - Begriff nicht mehr viel zu tun haben. Der Architekturbezug ist zwar immer noch von Bedeutung, im Vordergrund des Interesses steht aber die durch Nutzung und Funktion bestimmte Spezifik der Orte. Ein differenziertes Kommunikationskonzept unterstützt die Vermittlung der Kunst und sorgt so für die richtige Wahrnehmung.
Jenny Holzers Denkmal für Oskar Maria Graf (1996) im Münchner Literaturhaus beispielsweise bedient nicht den klassischen Denkmalbegriff – etwa durch die Darstellung seiner Person in Bronze oder Stein – sondern widmet sich dem Werk des Dichters. Sorgfältig ausgewählte Passagen seiner Prosa begegnen dem Besucher des Kaffeehauses auf dem Grund der Tassen und Teller, auf den Papiersets und Bierdeckeln oder den Lederrücken der Sitzbänke. In einem Laufschriftband über der Bar fließen Sätze dahin. Und auf den Steintischen der Terrasse sind Texte des aufmüpfigen und anarchischen Volksdichters aus Bayern eingemeißelt, dessen Leben im New Yorker Exil endete.
Gelegentlich wird sogar der statische Kunstbegriff durchbrochen, wenn die Nutzer eines Gebäudes selbst zu Akteuren eines Kunstwerkes werden, wie es beim Projekt WOHER KOLLEGE/ WOHIN KOLLEGE des Münchner Künstlerduos Empfangshalle der Fall war, das sie für den neuen Betriebshof Ost der Müllabfuhr entwickelten. Dort arbeiten Kollegen aus vielen Nationen miteinander. Es begann 2001 mit der Frage „Woher kommst Du, und wenn Du an daheim denkst, was siehst Du dann?“ 27 Mitarbeiter waren bereit an dieser Identitätssuche mitzuwirken. Sie reisten in ihrem Urlaub mit einem zum Wohnmobil umgebauten Müllwagen an den Ort, der für sie Heimat repräsentiert, sei es nun mitten in München, in Kasachstan, der hintersten Türkei oder Ghana. Dort fotografierten sie ihr Heimatbild – mit dem Münchner „Müllmobil“ im Vorder- oder Hintergrund. Zurückgekehrt wurden die 27 Großfotos ab 2003 auf den Seitenflächen ihrer Müllwagen angebracht und diese mobile Ausstellung fuhr zwei Jahre lang durch München. Ein wunderbarer Dokumentationsfilm, der drei der Reisen begleitete, führte zu spannenden Diskussionen über Migrationsprobleme und Identitäten.
Doch kommen wir zum Thema der vorliegenden Publikation. Beim Liftarchiv von Szuper Gallery für das Münchner Kreisverwaltungsreferat2 handelte es sich um ein Kunstwerk, das sich als Kommentator der Institution begriff. Eine heikle Aufgabe für das Münchner Baureferat, das für seine Bauherrn eigentlich „nur“ eine Baumaßnahme mit Kunst betreut und sich hier unversehens vor die Aufgabe gestellt sah, vier Jahre lang Vermittlungsprozesse in Sachen Kunst zu moderieren.
Das Kunstwerk war für Uneingeweihte zunächst kaum erkennbar, handelte es sich doch um einen normal wirkenden Aufzug in der neuen Eingangshalle des Gebäudes. Erst auf den zweiten Blick wirkte die Möblierung der gläsernen Liftkabine befremdlich. Und spätestens dann, wenn der Besucher nach einem Bedienungsknopf suchte, offenbarte sich die Irritation. Nur mit einem speziellen Bedienungsschlüssel nämlich kann der Lift ins Erdgeschoss gefahren werden, und das war jeweils zum Programmwechsel und bei den entsprechenden Veranstaltungen der Fall.
Bereits die erste Videoinstallation Nirwana führte zu Klagen bei der Belegschaft.Von diesem Zeitpunkt an stimmten wir uns mit den Kolleginnen und Kollegen im Kreisver-waltungsreferat regelmäßig über die Programme ab und standen zur Zeit der Eröffnungen und des Programmwechsels „Gewehr bei Fuß“, falls Konflikte zu erwarten waren. Im weiteren Verlauf erwies es sich als sinnvoll, ein Informationsschild zum Kunstprojekt anzubringen, insbesondere für die im Kreisverwaltungsreferat Rat suchenden Bürgerinnen und Bürger.
Das Kalkül von Szuper Gallery funktionierte perfekt in seiner Balance zwischen scheinbarer Harmlosigkeit und Auseinandersetzung. Belegschaft und Leitung setzten sich zur Wehr, wenn sie sich diskriminiert fühlten, in zwei Fällen erzwangen sie sogar die Absetzung des laufenden Projektes. Und sind wir ehrlich: Diese Reaktionen waren wohl von den Künstlern beabsichtigt.
Monika Pemler ist Leiterin des QUIVID Teams im Münchner Baureferat.
Dieser Text stammt aus dem Buch Liftarchiv, ©Copyright 2007 Szuper Gallery, herausgegeben von Revolver ISBN 978-3-86588-403-9
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Beim Logo QUIVID handelt es sich um eine Wortschöpfung des Berliner Künstlers Adib Fricke und seiner Word Company. Mehr dazu finden Sie auf der QUIVID Homepage www.quivid.de ⤴
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Das Kreisverwaltungsreferat ist zuständig für Sicherheit und Ordnung, für das Gewerbe, für das Einwohnerwesen (z. B. Einbürgerungen, Staatsangehörigkeit, Pässe,Aufenthaltsgenehmigungen, Asylangelegenheiten),Angelegenheiten des Straßenverkehrs (z. B.Verkehrsüberwachung, KFZ-Zulassung) sowie Brand- und Katastrophenschutz. ⤴